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  • AutorenbildSandy

Authentizität und das Gejammer der Eltern

Aktualisiert: 12. Apr. 2023

Immer mehr Eltern, aktuell primär Mütter, sprechen öffentlich darüber, wie anstrengend sie das Eltern/Mutterleben empfinden und wie unfassbar gestresst sie sind. Bei Instagram, TikTok und co trenden immer mehr die Videos, in denen vorzugsweise Mütter weinend hinter der verschlossenen Klotür hocken, oder sich im Schlafzimmer einschließen. Und wie es zu jedem guten Trend dazugehört, wird bereits mächtig dagegen gestänkert. "Wie kann man nur das tolle Mutter/Elternsein so hässlich und traurig darstellen?"

Hm, kommt mir irgendwie bekannt vor.


Vorzeigemütter


Ach warte, bisher regten wir uns ja über all die perfekten Vorzeigemütter auf, die die Pausenbrote ihrer Kinder in diversen ausgefallenen Formen stechen, dazu eine unfassbare Auswahl an bunten Früchten, alle aufgespießt und neben dran einen Klecks Naturjoghurt, neben dem (heute früh natürlich) selbstgebackenen Müsliriegel.


Der Wandel und das Alien


Ich sag euch mal was. Ich finde diesen Wandel gerade echt super. Nicht nur, weil ich vor Jahren bereits mal darüber schrieb "Versagen als Mutter, mein schriftlicher Ausraster", sondern weil ich es echt gut und wichtig finde, dass Eltern mittlerweile auch die anstrengenden Seiten zeigen. Ich bin pro Gejammer! Denn ehrlich gesagt, hätte ich das auch gern schon vor 12 Jahren mal lesen wollen. Es hätte sich nichts an meinem Kinderwunsch geändert, aber ich hätte mich sicherlich nicht so oft wie ein Alien gefühlt. Das Gefühl, von den eigenen Kinder überfordert zu sein und mal eine Pause zu brauchen, gab es damals einfach nicht. Also zumindest wurde darüber nicht gesprochen und wenn doch, dann wurdest du direkt verurteilt und online auf dem "Rabenmütter" Scheiterhaufen verbrannt. Du bist gestresst von deinen Kindern? Dann machst du was falsch. Dein Kind schläft bei euch im Ehebett mit und du findest das nervig? Dann bist du eine schlechte Mutter. Was? Dein Kind brüllt schnell und will sich alleine anziehen, das dauert aber etwas länger und du bist genervt? Dann hast du dein Kind wohl falsch erzogen.

All dies und noch viel mehr wurde einem dann direkt ins Gesicht geschmettert und deswegen sprach kaum jemand offen darüber. Absolut nachvollziehbar.


Authentizitätstrend


Doch was ist jetzt passiert? Liegt es an dem Authentizitätstrend, auch mal über die nicht so schönen Dinge und Gefühle zu sprechen? Möchte man sich ganz bewusst verwundbar zeigen? Gehört das dazu? -- JA -- Überrascht? Nicht wirklich, oder? Es war echt überfällig und dennoch seh ich auch weiterhin beige Kinderzimmer und die Brotdosen, mit dem wundervollen Inhalt, der fast zu schön ist, um gegessen zu werden. Genauso wie ich die Eltern sehe, die öffentlich darüber sprechen, dass sie aktuell an ihre Grenzen kommen und diese Phase gerade eine krasse Herausforderung für sie ist.

Und ich LIEBE ES. Danke an euch!

Denn das zeigt mir und anderen: Ich bin nicht allein mit diesem Gefühl. Und natürlich lieben wir unsere Kinder trotzdem und auch deswegen so sehr und sie sind und bleiben für uns die absolut perfektesten Wesen ever!


In der Babygruppe


Letztens war ich mit dem Knirps in der Babygruppe. Da konnte ich von allem etwas hören. Von absolut beschissenen Nächten und die dafür super schönen Vormittage bei der einen und von dem nervigen Genörgel des Babys von der anderen, die so sehr hofft, dass ihre Tochter nun endlich krabbeln kann, damit das alltägliche Genörgel endlich mal aufhört. Von schlechten Essern und Schreibabys, über das nervige Reinreden der Schwiegereltern bis hin zu den stolzen ersten Schritten. Wir sprachen über Gefühle, Ängste, Sorgen und redeten einfach frei. Das war unser Safe Space. Nicht wie damals, als ich vor über 12 Jahren blöd angeguckt wurde, wenn ich mal gesagt hatte die Nacht war ätzend und ich bin genervt. Hier in dieser Runde wurde ganz deutlich, dass jeder sein Päckchen zu tragen hat und jeder seine ganz persönlichen Grenzen kennenlernt.


Ist es also wirklich so dramatisch, wenn wir genausoviel über die anstrengenden Seiten des Elternseins sprechen und zeigen, wie über die schönen und bewegenden Momente? Was ist real? Was ist hier wirklich authentisch? 50/50, oder doch lieber 70% schöne Dinge erzählen und so 30% Gejammer? Was ist wann vertretbar? Letztendlich liegt es ja an der Person, die dieses Reel zum Beispiel sieht. Ich muss ganz spontan an das Reel denken, wo eine Mutter mit vollem Wäschekorb die Treppe runtergehen will und überlegt, ob sie nicht springen sollte, dann müsste sie vielleicht ins Krankenhaus und hätte mal 3 Tage Ruhe und Roomservice. Ich hab mich weggelacht bei dem Video. Lustig gemacht, geile Mimik. Mega. Ich lehne mich jetzt mal weit aus dem Fenster (nein, ohne die Absicht mir was zu brechen) und behaupte, dass jedes Elternteil schonmal eine Situation hatte, wo es sich ausgemalt hat, wie es plötzlich im Wellneshotel wäre, ohne Kinder. Ohne Verpflichtungen. Ganz alleine und mit dem Lieblingsgetränk in der Hand. Kommt schon... Ihr nicht?


Wann schläfst du endlich?


Ich hatte allein heute schon locker dreimal die Gedanken von "Oh du bist so süß" zu "Wann schläfst du endlich???!!!" Der Knirps zahnt und hat unfassbar viel Energie, das schlaucht mich gerade echt. Jetzt, wo er tatsächlich schläft, freu ich mich aber auch schon wieder auf morgenfrüh und sein Lächeln, wenn er mich neben sich sieht beim Aufwachen. Vorhin allerdings, als er das dritte Stück Brot mit Frischkäse auf den Tisch einmassierte und seine Trinkflasche selber halten wollte (was natürlich nicht klappte), hab ich heftigst mit den Augen gerollt und auf die Uhr geguckt mit der Frage "Wie lange noch, bis ich ihn ins Bett bringe?". Das ist völlig okay und sagt rein gar nichts über die Liebe zu diesem kleinen Menschen aus. Solche Situationen kennen doch alle Eltern?


Bloggerszene


Ich bin nun schon seit über einem Jahrzehnt hier und der Mombloggerwelt und wenn ich hier eins gelernt habe, dann ganz klar, dass es bei jedem anders abläuft. Jedes Kind hat sein Tempo, jedes Elternteil seine ganz individuelle Grenze und hey, das darf auch so sein!

Wir zeigen hier in der Onlinewelt doch eh immer nur Ausschnitte aus unserem Leben. Niemand weiß, wie es wirklich hinter den Kulissen aussieht. Niemand. Weder hier, noch im Freundeskreis. Denn auch da zeigen wir einen Teil von uns. Es gibt nur ganz wenige, die wirklich wirklich wissen, wie es einem geht, was da gerade passiert und können das entsprechend einschätzen. Der ganze Rest schaut von Außen zu, denkt sich seinen Teil, interpretiert sich wund und manchmal passt es, manchmal liegt derjenige aber auch komplett daneben.



Gefährlich erfrischend, oder erfrischend gefährlich?


Ich sehe diesen Trend nicht als gefährlich, sondern als erfrischend ehrlich an. Ja, auch die weinenden Frauen hinter den verschlossenen Türen. Denn auch das ist normal. Real Talk. Auch das gibt es und man darf darüber gerne sprechen. Vielleicht ist es einem manchmal unangenehm, so etwas zu sehen. Das ist ebenfalls okay. Man ist auch nicht immer gleich depressiv, nur weil man sich so zeigt und solche Tage hat. Erstrecht ist man deswegen nicht gleich grundsätzlich überfordert und ungeeignet als Elternteil.


Hallo, mein Name ist Sandy und ich finde das Muttersein von A wie Anstrengend bis Z wie Zuckersüß. Wer bist du und wie empfindest du es?





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