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Mein Körper gehört mir!

  • Autorenbild: Sandy
    Sandy
  • 23. Mai
  • 5 Min. Lesezeit

Ein Balanceakt zwischen Selbstbestimmung und Alltagsrealität, Grenzen und dem täglichen K(r)ampf beim Zähneputzen

„Mein Körper gehört mir!“ – dieser Satz hat in den letzten Jahren zum Glück den Weg in viele Kinderzimmer gefunden. Es ist wichtig, dass Kinder früh lernen, dass ihr Körper ihnen gehört. Dass sie „Nein“ sagen dürfen. Dass niemand das Recht hat, ihre Grenzen zu überschreiten und das ihr „Nein“ ernstgenommen wird!

Aber was passiert, wenn das „Nein“ beim Zähneputzen kommt? Oder beim Popo abwischen? Beim Haare kämmen oder Sonnencreme auftragen?

Uff.. Dann wird’s spannend.


Kind in Polizeiuniform hält STOP Kelle Hoch.
Kind in Polizeiuniform hält STOP Kelle Hoch.

Körperliche Selbstbestimmung heißt nicht: Alles ist verhandelbar

Kleinkinder haben oft schon einen sehr starken Willen. Und wenn sie erstmal gelernt haben, dass sie „Nein“ sagen dürfen, dann sagen sie es auch. Laut, deutlich, überzeugend. Doch hier ist ganz wichtig: Körperliche Selbstbestimmung bedeutet nicht, dass Kinder in jeder Alltagssituation komplett frei entscheiden können. Es gibt Dinge, die müssen einfach sein. Zähneputzen zum Beispiel. Oder mal kurz den Popo abwischen lassen, weil das Kind sich nach dem Klogang doch nicht selbst komplett versorgen kann. Das sind wichtige Sachen, die nicht im Grundsatz zu diskutieren sind. Und jetzt kommt hier trotzdem ein ABER von mir, denn während das Zähneputzen an sich zeitlich etwas flexibler ist (Ja, es sollte morgens, mittags und abends sein, allerdings möchte ich an dieser Stelle gerne mal die Eltern von zum Beispiel Grundschulkindern sehen, die tatsächlich mittags auch noch Zähne putzen. Doch darum allein geht es mir, nicht, sondern viel mehr um die mögliche Flexibilität.), ist das Po Abwischen nach dem Toilettengang nicht flexibel. Es muss direkt passieren, damit in diesem Fall der Popo nicht wund wird.

Wenn etwas aus medizinischen und oder hygienischen Gründen nicht verhandelbar ist, dann müssen zu aller erst wir Erwachsenen da auch zu 100% hinter stehen und nicht direkt in die Panik-Falle tappen. Ich kenne es zu gut, das plötzliche schlechte Gewissen, wenn das eigene Kind einen traurig/wütend/ängstlich anguckt und man weiß, dass man gefühlt hier eine Grenze überschreitet, aber man dem Kind doch nur helfen möchte. DAS finde ich persönlich wirklich mit am schwierigsten an der Elternschaft. Das permanente Gefühl etwas komplett falsch zu machen, obwohl man eigentlich weiß, dass es so richtig ist.


Denkfehler

Und hier treten ganz oft Denkfehler auf von Eltern, die bedürfnisorientierte Erziehung leben wollen. Es kommen Gedanken wie: "Mein Kind zeigt deutlich seine Grenze auf und möchte nicht von mir den Popo sauber gemacht bekommen! Ich kann es ja nicht dazu zwingen. Das wäre ja ein Machtspiel!" Und jetzt??

Jetzt frag ich dich, ob du deinem Kind auch so ohne jeglichen körperlichen Einsatz von dir erlauben würdest, die Hand auf die noch heiße Herdplatte zu legen.


Aha.


Und oh doch, das kann man durchaus sehr gut vergleichen. In beiden Fällen können wir als Erwachsene Person nämlich abschätzen, was passiert. Beim Herd ganz klar: Verbrennung. Beim nicht Abwischen wollen: Wunder Po. Bei dem einen passiert es sofort, bei dem anderen zeitverzögert und dennoch geht es uns hier doch zu aller erst um das Wohl des Kindes! Und zwar in beiden Fällen!


Bedürfnisoriente Begleitung (ich mag in dem Zusammenhang das wort Erziehung nicht) heißt nämlich nicht, alles muss spielerisch ausdiskutiert werden und man muss zum Schluss der Diskussion dann auf einen gemeinsamen Nenner kommen , sich umarmen und fröhlich im Kreis tanzen. Bedürfnisorientiert bedeutet eben auch, Verantwortung zu übernehmen. Und ja, dazu gehört dann auch sowas, wo man liebevolle Gewalt nutzen muss (Festhalten um doch den Popo abzuwischen, oder schnell und etwas stärker den Arm festhalten, bevor das Kind auf die Herdplatte fasst) um dem entgegenzuwirken.

Ein Nein ist kein Trotz, sondern der Versuch, die eigenen Grenzen zu wahren.

Und das ist auch richtig so. Nur: Wir als Eltern müssen gleichzeitig erklären, dass manche Handlungen trotzdem notwendig sind! und dass sie nichts mit Übergriffigkeit zu tun haben, sondern mit Fürsorge. Und genau diese elterliche Fürsorge durchzusetzen ist nicht widersprüchlich mit beürfnisorientierter Begleitung!

Klare Linien und Grenzen sind hier genauso wichtig, nur wird hier bewusster hinterfragt und abgewogen, welchen Kampf man nun kämpfen möchte und welche Grenzen aus alten Glaubensätzen entstanden sind und welche tatsächlich Sinn machen.

Kinder sollten ermutigt werden, ihre Grenzen zu erkennen und zu kommunizieren. Doch die Verantwortung, diese Grenzen zu respektieren und gleichzeitig für das Wohl des Kindes zu sorgen, liegt bei den Erwachsenen. Es ist ein Balanceakt zwischen dem Respektieren der Autonomie des Kindes und dem Wahrnehmen der elterlichen Fürsorgepflicht.

Kindgerecht erklären statt blind durchziehen

Die große Kunst liegt hier ganz klar im Wie. Wer einfach über das „Nein“ des Kindes hinweggeht, verpasst die Chance auf Beziehung. Wer aber ins Gespräch geht ( ja, auch bei Zweijährigen ) und Dinge erklärt, schafft Verständnis.

„Ich weiß, du willst grad keine Sonnencreme. Das ist immer so klebrig und kalt. Aber deine Haut braucht heute Schutz. Ich wärme die Creme vorher etwas an und dann zählen wir mal, wie lange es dauert bis sie eingezogen ist, ok? Danach bist du startklar fürs Spielen draußen!“oder „Du magst’s nicht, wenn dir jemand ins Gesicht fasst, das versteh ich. Ich geb mir ganz viel Mühe und mach’s ganz vorsichtig, aber die Nase ist so verstopft, dass sie das ohne Hilfe nicht schafft. Deswegen mach ich dir da jetzt das Spray rein, ok? Möchtest du meine Hand mithalten?“


Erklären. Einfühlen. Geduldig sein. Und trotzdem klar bleiben.


Spoiler: Das heißt trotzdem leider nicht, dass dann das Kind mit einem "Ach so, deswegen möchtest du das machen? Ja klar, dann mach das gerne!" antwortet. Es wird das trotzdem erstmal noch blöd finden, aber wenn du als Elternteil klar bleibst, immer wieder einfühlend erklärst und dein Kind wahrnimmst, dann wird es das langfristig verstehen und daraus für sich lernen können.


Ich hab dem Knirps hier leider schon öfters Augentropfen geben müssen und es sind immer die ersten zwei bis drei Male (oder auch Tage) wo es ein riesiges Theater gibt und dann ebbt es langsam ab. Wir sind trotzdem noch weit davon entfernt, dass mein 3jähriger sich freiwillig hinlegt und still hält, wenn ich ihm die Tropfen geben möchte, aber es ist nicht mehr jedesmal ein riesen Drama und er hat schon ein Stück weit verstanden warum wir das machen müssen. Denn er fängt an zu sagen "Das Auge ist schon gut Mama!", obwohl es noch ein paar mal getropft werden muss. Also weiß er, wofür die Tropfen sind! Das ist übrigens auch das Ziel des Ganzen. Nicht das Stillhalten und über sich ergehen lassen (Versuch mal mir Augentropfen zu geben, viel Spaß auch!) sondern das VERSTEHEN WARUM dies oder das gemacht werden muss. Zusammenhänge begreifen!

Da hab ich auch schon in einer Beratung einen "AHA!" Moment gehabt, bei einem Elternpaar. Das hat ganz viel Druck genommen, zu wissen, dass es eben nicht darum geht dass ihr Sohn sich jetzt still die wichtige Creme geben lässt, sondern das er versteht warum hier seine gesetzten Grenzen doch überschritten werden und dass die Eltern dies liebevoll und ehrlich kommunizeren.


Das ist Beziehung.


Wertschätzend, fürsorglich, authentisch.



In diesem Sinne erstmal DANKE für's Lesen bis hierhin.

Mir ist das Thema extrem wichtig und da ich euch nicht komplett zufluten will mit Wörtern, hab ich den Text auf zwei Artikel aufgeteilt.


Teil 2 folgt dann spätestens nächste Woche.


Bis dahin!

Eure Sandy


Die Audioversion des Textes findet ihr hier:


Mein Körper gehört mir!




 
 
 

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